Drogen
Abhängigkeit und Gefahr



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Die kleine Frau mit dem runden Gesicht betritt das Podium der Aula. Das Mikrophon knistert. "Guten Tag, ich bin Ritu", beginnt sie. 200 Oberstufenschüler einer Gesamtschule im finnischen Kirkkonummi sehen mit leerem Blick zu ihr auf. "Ich bin hier, um mit euch über Drogen zu reden", fährt die Frau fort. "Ich war selbst süchtig. Mit 15 habe ich mit Marihuana begonnen, und gelandet bin ich in der LSD-Hölle." Jetzt kommt Leben ins Publikum, leises Getuschel füllt den Raum. In der ersten Reihe hebt eine 14jährige die Hand. Ritu nickt. "Kann man schon süchtig werden, wenn man nur ein einziges Mal Rauschgift probiert?" fragt das Mädchen. "Ja", antwortet Ritu. "So ist es mir nämlich ergangen. Und darum bin ich heute hier." Gebannt lauscht das Publikum dem einstündigen Vortrag. Als Ritu fertig ist, gehen zwei 14jährige Mädchen zu ihr hin und zupfen sie am Ärmel. "Wir haben ein paar mal Hasch probiert", gestehen sie. "Können wir jetzt heroinsüchtig werden?" "Ja", antwortet sie. "Hört sofort damit auf. Ihr spielt mit eurem Leben."
[Anmerkung des WebSite-Autors: Diese Schlußfolgerung ist zugegeben etwas überzogen]

Für die 45jährige Ritu Ylipahkala aus Helsinki ist diese Veranstaltung nur eine von vielen, die sie schon organisiert hat, um junge Menschen über die Gefährlichkeit von Drogen aufzuklären. Jahr für Jahr vernehmen über 100000 Jugendliche ihre Botschaft der Hoffnung. Sie ist bitter nötig, denn in Finnland wächst das Drogenproblem. Vor zehn Jahren gab es erst ein paar tausend Abhängige, jetzt sind es schon an die 20000. Ritu möchte diesen Menschen die gleiche Chance bieten, die sie selbst bekommen hat - die Chance auf ein neues Leben. Und so geht sie überallhin, wo Hilfe benötigt wird. Als ehemaliger Junkie kennt Ritu die Orte, an die es die Drogen- und Alkoholsüchtigen zieht. Nachts macht sie die Runde durch die Straßen und Lokale und sammelt verzweifelte Menschen auf - manche an der Schwelle zum Selbstmord. Sie gewinnt ihr Vertrauen, indem sie ihnen ihre eigene Geschichte erzählt. Sie ermutigt sie zum Reden, sagt ihnen, wo es Behandlungsmöglichkeiten gibt, und nennt ihnen Telefonnummern und Adressen, an die sie sich wenden können. Sie macht ihnen klar, daß sie sich behandeln lassen oder wenigstens Kontakt zu den Anonymen Alkoholikern oder zu kirchlichen Einrichtungen aufnehmen müssen. Die Alternative heißt Sterben.

Im Herbst 1991 gabelte sie eines späten Abends einen zwölfjährigen Jungen am Hauptbahnhof von Helsinki auf. Er trieb sich mit anderen im Bahnhof herum, schlief, wo er sich gerade befand, und hatte niemanden, der sich um ihn kümmerte. Ritu kannte ihn schon und wußte, daß er Haschisch nahm. "Du siehst elend aus", sagte sie zu ihm. "Kann schon sein", antwortete der Junge. "Ich weiß, daß du dir wieder was reingezogen hast. Erzähl mir, was dich so fertigmacht." Der Junge berichtete Ritu, daß sein Vater ein Junkie und seine Mutter Alkoholikerin sei. Sein Leben sei die Hölle. Ritu hörte zu. Dann schilderte sie ihm ihre eigenen Erlebnisse und überzeugte ihn, daß das Leben mehr zu bieten habe. Er ging mit ihr nach Hause, wo er zugab, daß er in ernsthaften Schwierigkeiten war. Zwei Wochen später wurde er zur Therapie in ein Heim für Drogenabhängige aufgenommen. So hat Ritu schon Tausenden von Alkoholikern und Hunderten von Drogensüchtigen geholfen, wieder ins Leben zurückzufinden. "Da ich selbst davon loskommen konnte", sagt sie, "habe ich die Pflicht, anderen zu helfen."

Ritu Ylipahkala wurde im Februar 1948 als Riitta Jurva in Ruokolahti in Südostfinnland als viertes von sieben Kindern geboren. Sie war erst zwölf Jahre alt, als ihr Vater an einer Gehirnblutung starb. "Ich sehe noch, wie der Sarg in die Erde gesenkt wurde", erinnert sie sich. "Mit ihm ging etwas unsagbar Kostbares und Unersetzliches verloren." Von diesem Tag an änderte sich Ritus Leben völlig. Ihre Mutter fand bald einen neuen Mann. Ritu lag im Streit mit ihrer Familie, der Schule, schließlich mit der ganzen Welt. Mit 13 Jahren begann sie zu trinken und zu rauchen. Zwei Jahre später rannte sie von zu Hause weg und zog zu Bekannten nach Helsinki. Ritus neue Freunde tranken viel, manche nahmen auch Drogen. Das Spiel mit dem Verbotenen reizte das junge Mädchen sehr, und bald war auch ihr Leben auf einer rasanten Talfahrt. Jeder Pfennig, den sie zur Verfügung hatte, ging für Alkohol und Tabak drauf. Eines Tages sagte ihre Freundin Tepa: "Ritu, wenn du mal Stoff probieren willst, kann ich das organisieren." "Ich bin dabei", antwortete Ritu begeistert. Am nächsten Abend ging Tepa mit Ritu in das Alte Studentenheim, wo sich junge Leute trafen. Ein hochgewachsener Mann in Skimütze und dunklem Jackett sprach sie an. "Willst du einen Joint?" fragte er. Ritu sog gierig den Rauch in die Lungen und fühlte sich bald ganz leicht und sorgenfrei. Sie bewegte sich wie im Nebel und kicherte hysterisch. "Ich dachte, mir gehört ganz Europa", erinnert sie sich, "und sofort wollte ich mehr davon." Ein einziger Joint nur, und die Falle war zugeschnappt. Ritu rauchte kaum drei Monate Marihuana, da verlangte ihr Körper schon nach stärkerem Stoff: Sie wechselte zu Haschisch, das in der Stadt reichlich zu haben war. "Wir rauchten unsere Haschpfeifen", sagt sie, "hörten Popmusik, und das Leben erschien uns wunderschön." Um an das nötige Geld zu kommen, spielte die hübsche 16jährige den Lockvogel für ihre Bande. Wenn Bauern, die manchmal betrunken am Hauptbahnhof von Helsinki ankamen, ihr in den Kaisaniemipark folgten, nahmen die Jungen ihnen Geld, Uhren und andere Wertgegenstände ab und verkauften sie. Sie raubten auch alten Leuten ihre Geldbörsen und wühlten in Abfalltonnen nach Lebensmitteln oder stahlen sie.

Mit Ritu ging es immer schneller bergab. Sie bekam es oft mit der Jugendpolizei zu tun, und kurze Gefängnisaufenthalte wurden die Regel. Immer öfter verbrachte sie die Nächte in Treppenhäusern oder in Parks. Inzwischen ruinierten die Drogen ihre Gesundheit. Wenn sie nicht an Stoff kam, wurden die Entzugserscheinungen unerträglich, und dann nahm sie Tabletten oder schnüffelte Lösungsmittel. Ritu verlor nach und nach jeden Sinn für die Wirklichkeit. Ihre Stimmungen wechselten zwischen Hochgefühl und tiefer Depression. Oft dachte sie an Selbstmord. Einmal rannte sie auf einer Party, die in einer Wohnung im zweiten Stock stattfand, zum Fenster und sprang hinaus. Aber statt sich zu Tode zu stürzen, landete sie fünf Meter tiefer auf dem Rasen und trug nur leichte Verletzungen davon.

Im September 1966 fuhren Ritu und ein Dutzend andere junge Leute nach Kopenhagen, wo man im Stadtteil Christiania leicht an Drogen kam, um sich LSD zu beschaffen. "Das ist das Wahre", sagte einer ihrer Reisegefährten. Ritu schluckte die viereckige weiße Tablette und erlebte ihren ersten LSD-Trip. lch fühle mich wie ein Engel, der durch die Luft schwebt", dachte sie bei sich. Von da an nahm Ritu regelmäßig LSD. Ihren Trips folgten Angstanfälle. Sie fürchtete sich vor der Dunkelheit und durchlitt selbst am hellichten Tag höllische Halluzinationen. Wenn sie mit der Straßenbahn fuhr, überkam sie die hysterische Angst, jemand wolle sie erschießen. Ihr Verstand zerbröckelte mehr und mehr. Dann erhielt Ritu ihre erste drastische Wamung. Auf einer wilden Party in Helsinki erlebte sie, wie eine 16jährige das Bewußtsein verlor, nachdem sie Alkohol getrunken und Tabletten genommen hatte. "Ruft mal einen Rettungswagen"', lallte einer der Zecher. "Ich glaub', die atmet nicht mehr." Das Mädchen starb, noch ehe es ins Krankenhaus gebracht werden konnte. "So wird es mir auch einmal ergehen, wenn ich nicht bald aufhöre", dachte Ritu. Entsetzt sah sie, wie die Party vergnügt weiterging, nachdem die Leiche des Mädchens abgeholt worden war. Wenig später wurde auf einer anderen Party ein 17jähriger Junge, der eine hohe Dosis LSD geschluckt hatte, plötzlich von Krämpfen geschüttelt und starb, ehe Hilfe kam. Ritu beobachtete es mit glasigen Augen und fragte sich, wann sie wohl an der Reihe war.

Aber erst im Dezember bekam Ritu eines Morgens einen so großen Schreck, daß sie sich endlich entschloß, Hilfe zu suchen. Sie sah sich selbst im Spiegel, und ihr Abbild erinnerte sie an eine sterbenskranke verhutzelte alte Frau mit verfilztem Haar, die sie einmal auf dem Sozialamt gesehen hatte. "Werde ich auch einmal so enden?" dachte Ritu. Sie suchte einen Arzt auf, der sie in die Entziehungsanstalt Järvenpää schickte. Da wog sie kaum noch 45 Kilogramm und hatte auf nichts außer Drogen Appetit. Als ein Arzt ihr aufs Knie klopfte, um ihre Reflexe zu testen, reagierte ihr Fuß nicht. "Fortgesetzter Drogenkonsum hat ihr Zentralnervensystem dauerhaft geschädigt", sagte der Arzt. Er verordnete ihr Beruhigungs- und Schlaftabletten und eine Gesprächstherapie. Die Entzugserscheinungen waren so stark, daß Ritu manchmal auf ihrem Bett festgeschnallt werden mußte. Bis zum Sommer 1967 hatte sie jedoch so große Fortschritte gemacht, daß sie in der Anstaltsgärtnerei arbeiten durfte. Vier Monate später wurde sie entlassen, scheinbar für ein neues Leben gerüstet. Aber schon im Bus nach Helsinki erlag sie wieder der Verlockung der Drogen - diesmal Pillen, die "Freunde" ihr in die Anstalt geschmuggelt hatten. Von da an mußte sie alle paar Monate in die Anstalt. "Wenn Sie so weitermachen, sind Sie in drei Monaten tot", sagte der Psychiater Martti Paloheimo zu ihr, als sie das drittemal zum Entzug erschien.

Eines Abends saß Ritu, nachdem sie wieder einmal entlassen worden war, auf der Treppe des Alten Studentenheims und rauchte mit Freunden Haschisch. Da trat ein dunkelhaariger junger Mann zu der Gruppe. "Kommt mit mir in die Teestube", sagte er. "Ich war einmal Junkie und bin zu Gott bekehrt. Jetzt versuche ich anderen zu helfen." "Zu verlieren habe ich ja wohl nichts", dachte Ritu und ging mit. In der Teestube hörte sie jungen Leuten zu, die es geschafft hatten, von Drogen loszukommen, und jetzt über ihre Erfahrungen berichteten. Nachdenklich geworden, erinnerte Ritu sich nach dieser Versammlung an die Worte des Arztes: "Noch drei Monate zu leben." Diese Zeit war schon zur Hälfte um. "Lieber Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir jetzt", betete sie, den Tränen nah. Ritu hielt über einen Monat ohne Drogen durch, dann strauchelte sie erneut. Wieder und wieder halfen ihr die Freunde aus der Teestube, den Kampf noch einmal aufzunehmen. Und allmählich wuchs ihr Glaube an die eigene Fähigkeit, ihre Schwierigkeiten zu meistern. Sie begann zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und gab schließlich alle Suchtmittel auf - zuerst die Drogen, dann den Alkohol und endlich die Zigaretten. Sie war sechs Jahre lang davon abhängig gewesen.

Jetzt ging Ritu sofort daran, ihren Gefährten im Elend zu helfen. Zuerst arbeitete sie in den Teestuben und sprach auf der Straße mit Süchtigen. Dann unterstützte sie die Jugendarbeit der Temperenzvereine und hielt Vorträge an Schulen. 1970 ging sie für drei Monate nach England, um dort in einer psychiatrischen Klinik zu arbeiten. Zwei Jahre später sammelte sie dann in Lausanne bei einer Jugendorganisation praktische Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Leuten. 1972 lernte Ritu in Helsinki bei der Arbeit für ihre Gemeinde Teemu Ylipahkala kennen, ihren künftigen Mann. Das Paar half bei der Gründung einer Organisation namens Lähetysnuoret (Missionsjugend), die 1980 in Tyyskylä in Siuntio das Charismaheim eröffnete, ein Behandlungszentrum für bis zu 30 Suchtmittelabhängige. Ritus Tage waren damit ausgefüllt, mit Alkoholikern und Drogenabhängigen zwischen 18 und 60 Jahren zu reden und ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche zu helfen. Ritu und Teemu heirateten 1973. Ihre beiden Söhne Miika und Jani sind jetzt 18 und 17 Jahre alt. "Ich tue alles dafür", sagt Ritu, "daß sie ihre Jugend nicht so vergeuden wie ich." Bis 1985 arbeitete Ritu bei Lähetysnuoret. Dann trat sie von ihrem Amt zurück, um sich neuen Aufgaben für ihre Gemeinde zu widmen, vor allem den jungen Menschen. Sie hat inzwischen an zahlreichen medizinischen Seminaren teilgenommen, um über Drogen und Drogenbehandlung immer auf dem neuesten Stand zu sein. Um zu erfahren, welche Suchtmittel gerade in Umlauf sind, steht sie im Kontakt zu den Rauschgiftdezernaten der Polizei. Und sie spricht regelmäßig in Schulen, um ihr Wissen über die verheerenden Folgen des Drogenmißbrauchs an andere weiterzugeben.

Ein besonders erschreckender Fall, von dem sie zu berichten weiß, begann mit dem Hilferuf einer Frau, deren 24jähriger Mann high von Amphetaminen war. Als Ritu zu ihr kam, sah sie, daß der zweijährige Sohn der beiden offenbar kurz davor stand, das Bewußtsein zu verlieren. "Mein Gott", rief sie, "hat das Kind irgendwelche Drogen bekommen?" Der Mann war zu keiner Antwort fähig, die Frau wußte es nicht. Ritu rief einen Rettungswagen, der den Jungen ins Aurorakrankenhaus von Helsinki brachte. Wie sich herausstellte, hatte der verwirrte Vater sein Söhnchen für einen Schicksalsgenossen gehalten und ihm Beruhigungsmittel verabreicht. Dank Ritu blieb der Kleine am Leben. Ebenso war Ritu für eine erfolgreiche 22jährige Sportlerin da, die drogenabhängig geworden war, nachdem ihr Trainer ihr Rauschgift gegeben hatte. Ihre Experimente endeten bei Heroin, und als sie 1988 nach einem Vortrag zu Ritu kam, schlotterte sie am ganzen Leib. Mit angstgeweiteten Augen erzählte sie, daß sie seit fünf Jahren ununterbrochen Drogen nehme. Ritu gab ihr bei sich ein Zuhause. Dann besorgte sie ihr einen Platz in einem psychiatrischen Krankenhaus, wo sie zwei Jahre in Therapie blieb. Dort besuchte Ritu sie regelmäßig und sorgte dafür, daß auch andere sich um sie kümmerten. Heute ist die junge Frau völlig drogenfrei.

Nach zahlreichen Auftritten in Rundfunk und Fernsehen ist Ritu heute eine bekannte Persönlichkeit und weithin anerkannt. "Die vorbeugende Arbeit, die sie leistet, ist außerordentlich wichtig", meint Polizeioberrat Torsti Koskinen vom Rauschgiftdezernat Helsinki. Und Anna Herlin, die seit Jahrzehnten gegen Drogenmißbrauch kämpft, fügt hinzu: "Ritu ist ein Gottesgeschenk." Ritu selbst ist auch der Meinung, daß ihr die Aufgabe von ganz oben zugewiesen worden ist. "Mein Auftrag ist, im Lauf meines Lebens so viele junge Menschen wie nur möglich vor dem Schlimmsten zu bewahren. Ich wurde gerettet, damit ich andere retten kann."



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