Zeichnung aus Chile von dem Kind eines VerschwundenenVerschwunden im Niemandsland

Er ging zur Tuer und kam nicht wieder. In den Vereinigten Staaten kann das bedeuten, dass ein Mann die Nase voll hat von seiner Frau. In Lateinamerika oder Asien ist es wahrscheinlicher, dass er verschleppt worden ist, dass er leidet - und niemand weiss, wie man helfen soll. 1983 sind allein in Peru mindestens sechstausend Menschen "verschwunden" oder Opfer staatlicher Morde geworden.


Saul Godinez Cruz zum Beispiel fuhr, wie jeden Tag, mit dem Motorrad zur Arbeit. In Honduras war das, einem Land, das beruechtigt ist fuer seine Menschenrechtsverfehlungen. An der naechsten Ecke wurde Saul von Uniformierten gestoppt. Er und sein Motorrad wurden in einen Lastwagen verfrachtet, und man hat nie wieder etwas von ihm gesehen.
Schweigemarsch in Frankreich für die Verschwundenen"Disappearance", das englische Wort fuer Verschwinden, tauchte erstmals 1966 auf, als in Guatemala Hunderte von Leuten verschwanden, ohne dass jemand die Chance gehabt haette, ihrem Schicksal auf die Spur zu kommen. Zwischen 1980 und 1988 hat eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen ueber fuenftausend Faelle Verschwundener in vierzig Laendern der Erde registriert. Die Praxis aber hat Tradition.
Schon die Nationalsozialisten starteten Nacht-und-Nebel-Aktionen, 1942 in Frankreich. Unliebsame Einheimische wurden heimlich verschleppt, und das so geschickt, dass nicht einmal die Angehoerigen wussten, was aus ihren Soehnen, Toechtern, Ehegatten geworden war.
Vermeintliche Entfuehrungen taeuschen oftmals nur darueber hinweg, dass Menschen laengst umgebracht sind oder zumindest auf der Todesliste stehen. Der Jahresbericht von Amnesty fuer 1989 zeichnete ein erschuetterndes Bild. Manche Oppositionelle, die wegen ihrer Religion, ihrer ethnischen Zugehoerigkeit, ihrer Sprache oder ihrer politischen Ueberzeugung in Gegensatz zu ihrer Regierung gerieten, wurden auf offener Strasse niedergeschossen. Andere verendeten elend in geheimen Zellen und entfernten Lagern.
Opfer wurden niedergeschossen in Moscheen und Kirchen, in Krankenhaeusern, auf oeffentlichen Plaetzen und in Einkaufsstrassen. Gefaengniszellen, Polizeibueros, Militaerbaracken waren Orte, an denen Menschen ihr Leben lassen mussten. In manchen Laendern Afrikas oder Asiens ist es schon gefaehrlich nach einem Verschwundenen zu fragen. Oft trauen sich die Familien der Verschwundenen auch nicht, dem Verbleib ihrer Angehoerigen nachzuspueren; schliesslich muessen sie selber mit Bedrohung und Verfolgung rechnen. Die Muetter, Ehefrauen, Grossmuetter, die taeglich zur Plaza de Mayo im Zentrum von Buenos Aires ziehen, haben es gewagt, ihrer Trauer und ihrer Wut Ausdruck zu geben. Sie tragen Fotos ihrer verschwundenen Soehne, Brueder und Ehemaenner bei sich und sie schreien jedem ins Gesicht, dass sie das Unrecht nicht laenger ertragen wollen. Sie sind zu viele, als dass sie einfach vertrieben werden koennten.

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