Gewalt ohne Ausweg
Folter hat es immer gegeben. Immer wieder haben sich
im Lauf der Geschichte Machthaber der physischen Gewalt ueber andere bedient.
Im alten Rom gab es staatlich gepruefte Folterer, die Hexen und Zauberer
ueberfuehren und ungebuehrliche Soldaten zur Ordnung rufen sollten. Im
Mittelalter wurden Ketzer gemartert, gegeisselt und verbrannt, auf dass
sie sich zum rechten Glauben bekannten, den die herrschende Kirche und
die Regierung vorschrieben. Im 16. Jahrhundert peinigten die spanischen
Conquistadoren die Indianer aus Gier nach Gold. Pluendernde Englaender
ueberfielen afrikanische Doerfer. Schaetze aber fanden sie nicht, aber
sie konnten Sklaven mit nach Hause nehmen.
Wer wird so etwas tun, einem anderen wehtun, ihn bis aufs
Blut quaelen? Die Frage ist naiv angesichts der Tatsachen der Geschichte.
Getoetet und gemartert wurde immer wieder, in Hitlers Konzentrationslagern,
im sowjetischen Achipel Gulag, in den Lagern des ugandischen Ungeheuers
Idi Amin, des Chilenen Pinochet, des Ayatollah Khomeini im Iran, in Ceausescus
Rumaenien.
Was aber macht einen Folterer aus? Das schlimme ist, er
unterscheidet sich nicht von anderen Menschen. Er ist nur besonders gehorsam.
Er tut, was ihm aufgetragen wird. Da er seine "Pflicht" tut,
fuehlt er sich nicht verantwortlich fuer das, was dabei herauskommt. Das
ist in Tests von Psychologen ausprobiert worden: Eine Versuchsgruppe musste
Stromstoesse austeilen, die zweite musste sie erleiden. Da genau vorgeschrieben
war, in welcher Staerke die Stoesse ausgeteilt werden sollten, drueckten
die Stromverteiler auf den Knopf, selbst wenn sie sahen, wie sich die Kollegen
am Ende des Kabels unter Schmerzen wanden.
In diktatorischen Staaten verliessen sich die Machthaber
nicht auf die psychologischen Ablaeufe. Im Griechenland der siebziger Jahre
etwa, als dort noch eine der schlimmsten Diktaturen der juengeren Geschichte
herrschte, wurden nur Soehne aus bekanntermassen antikommunistischen Familien
fuer die Elitetruppen rekrutiert. Mit der Herkunft allein waren sie noch
nicht qualifiziert. Sie selber wurden so oft geschlagen, bis sie sich nichts
mehr dabei dachten, einen anderen unter ihren Faeusten leiden zu lassen.
Amnesty hat den Widerstand gegen die Folter nicht erfunden.
Schon Napoleon hat seinen Kriminalbeamten verboten, Verdaechtige durch
bewusst zugefuegtes koerperliches Leid gefuegig zu machen. In der Erklaerung
der UNO von 1948 wurde die Abscheu vor der Folter noch einmal bekraeftigt.
Viele unterschrieben die Konvention. Auch die Tuerkei.
"Sie fragten uns, wem die Dokumente gehoerten. Sie banden unsere
Haende aneinander und schuetteten Wasser darueber. Sie schlossen uns an
einen Stromkreislauf an. Wir schrien. Unser Schrei schwoll an zu einem
Chor des Leidens."
Allein 1989 sind mehr als fuenfhundert politische
Haeftlinge in der Tuerkei gefoltert worden. Mindestens ein Dutzend von
ihnen ist an den Folgen gestorben. Die Polizei misshandelt die Haeftlinge
systematisch waehrend der ersten Verhoere, um Informationen und Gestaendnisse
zu erpressen. Die Haeftlinge werden auf Fusssohlen und andere Koerperteile
geschlagen, mit eiskaltem Wasser abgespritzt und mit Elektroschocks gequaelt.
Ihren Anwalt koennen sie nicht sprechen. Ihre Angehoerigen wissen nicht,
wo sie sich befinden. Im Prozess werden die erpressten Aussagen als Beweismittel
verwendet, was jeder Gerechtigkeit ins Gesicht schlaegt.
1972 startete Amnesty eine Kampagne zur Abschaffung der
Folter. Einiges konnte erreicht werden, doch noch zehn Jahre spaeter musste
eine umfangreiche Dokumentation ueber "Folter in den achtziger Jahren"
verfasst werden. Denn in achtundneunzig Laendern wurden nach wie vor Haeftlinge
gequaelt.
In der Sowjetunion werden Drogen verabreicht, die schwaechen
und doch bei Bewusstsein halten. Phantasievolle Namen haben sich die Peiniger
ausgedacht. Neben der Falanga, den Schlaegen auf die Fusssohlen, die in
Griechenland besonders gern angewendet wurden, und dem "Telefon",
was dem Haemmern mit der Handflaeche auf die Ohren entspricht, praktizieren
die lateinamerikanischen Folterknechte mit Vorliebe "la banera"
oder "submarino", ein Bad, bei dem das Opfer so lange unter Wasser
gedrueckt wird, bis es fast erstickt. Auf dem Grill, "la parilla",
dem Metallbett, werden Elektroschocks verabreicht.
Im afrikanischen Niger werden Haeftlinge in "cachots
noirs" gehalten, in schwarz verhangenen Zellen, in die kein Licht
von aussen dringt. In islamischen Laendern sind Pruegel und Auspeitschen
ebenso wie das Steinigen an der Tagesordnung, von dem schon in der Bibel
gesprochen wird.
Manch einer der Gefolterten moechte lieber tot sein, denn
entkommt er erst einmal seinen Peinigern, sind die Schmerzen nicht vorbei.
Wer einmal fuer Tage mit dem Kopf nach unten aufgehaengt war, hat Gelenkschaeden;
wer mit Elektroschocks behandelt wurde, leidet unter Kopfschmerzen und
Schlafstoerungen, wenn nicht gar unter Laehmungen und Magenbluten.
Fast noch schlimmer als diese koerperlichen Leiden aber,
so haben Mitarbeiter von Amnesty herausgefunden, sind die seelischen, und
die wirken noch laenger als die Wunden auf der Haut nach. Ich habe meinen
Freund verraten, ich habe eine falsche Aussage unterschrieben, ich habe
etwas eingestanden was ich gar nicht getan habe.
Solche Erkenntnisse bereiten Alptraeume, und sie fuehren zu Nervenkrankheiten.
Seit Beginn der Organisation kaempft Amnesty gegen die
Folter und wird es weiterhin tun muessen, denn die Mittel sind mancherorts
subtiler geworden, vermindert aber hat sich die Folter nicht.
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